Ich arbeite an einem Berufsbildungswerk als Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin. Das Außergewöhnliche hier ist, die Schüler und Auszubildenden sind alle über 15 Jahre alt.
Meine Arbeit macht mir großen Spaß und die jungen Menschen sind sehr motiviert und dankbar für diese Form der schulischen Unterstützung. Außerdem halte ich kurze Vorträge in den einzelnen Ausbildungsbereichen und kann mit Hilfsmitteln bzw. umstrukturierten Arbeitsblättern so manches Mal eine Lösung anbieten.
Nach über 4 Jahren Beschäftigung kann ich berichten, dass es einige ganz besondere Erfolge gab. Ein junger Mann hat seine Geschichte aufgeschrieben:
Mein Name ist Christoph S.
Ich wurde am 25.12.1988 in Minden geboren.
Bei meiner Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel. Das hatte zur Folge, dass ich seit meiner Kindheit im Rollstuhl sitze.
Mit meinen 4 Geschwistern wuchs ich gleichwertig auf und wurde nicht in Watte gepackt.
Nach der Kindergartenzeit besuchte ich eine Schule für körperbehinderte Menschen. Dort fühlte ich mich auch sehr wohl. Mit den anderen Kindern freundete ich mich an und das Lernen machte mir Spaß.
Doch in der 2. Klasse kamen die ersten Probleme im Deutschunterricht. Beim Abschreiben eines Textes passierte es mir immer wieder, dass ich Buchstaben oder ganze Wörter vertauschte. Beim Diktieren verlor ich den Anschluss, weil ich das gesprochene Wort nicht in seine einzelnen Buchstaben zerlegen konnte und deshalb nicht wusste, was ich schreiben soll. Deshalb verlor ich beim Schreiben oft den Anschluss. Hinzu kam, dass ich nur sehr langsam und in Blockschrift schreiben konnte.
Mein Lehrer war der Meinung, dass ich keine Lust auf den Unterricht hätte. Und mir wurde diese Einstellung immer wieder vermittelt.
In dieser Zeit bekam ich weder Unterstützung von den Lehrern, noch irgendeine Form von Nachhilfe. Meine Mutter belastete die Situation genauso wie mich, doch sie stärkte mich und machte mir Mut.
Auch das Lesen bereitete mir große Schwierigkeiten. Die Buchstaben blieben nicht an ihrer Stelle stehen. Stattdessen schienen sie hin und her zu tanzen. Oft vermied ich mich zu melden, denn ich wusste, meine Antwort war sicher wieder falsch.
Obwohl mir die Lehrer prophezeiten, keinen Abschluss bzw. keine Ausbildung zu schaffen, entschied ich mich für eine berufsvorbereitende Maßnahme in einem Bildungswerk. Diese sollte 11 Monate dauern. Doch schon nach 5 Monaten sagte man mir, dass ich nicht ausbildungsfähig sei.
So ging ich anschließend in eine Werkstatt für behinderte Menschen.
Die Arbeit dort war sehr monoton. Ich verpackte täglich dieselbe Ware in einen Karton. Sortier- und Zählaufgaben waren mein Tagesinhalt. Es gab keine Motivation für mich, weder finanziell noch intellektuell. Träume und Ziele gab es nicht mehr.
Nach weniger als einem Jahr zerbrach ich psychisch an diesem Zustand. Ich hatte ein Burnout und wurde sehr lange Zeit krankgeschrieben.
So startete ich nochmals den Versuch einer berufsvorbereitenden Maßnahme in Recklinghausen. Diese konnte ich erfolgreich abschließen und ging, auf eigenen Wunsch, in die Evang. Stiftung Volmarstein in Wetter.
Nach kurzer Zeit fiel meiner Ausbilderin auf, dass meine sprachlichen und intellektuellen Inhalte eine deutliche Diskrepanz zu den schriftlichen Ergebnissen aufwiesen.
Sie empfahl mir, die dort beschäftigte Legasthenietrainerin aufzusuchen. Dies tat ich. Sie stellte anhand von Wahrnehmungs- und Schreibübungen fest, dass eine Teilleistungstörung vorliegt. Seitdem findet eine wöchentliche Förderstunde statt und ich begann eine Ausbildung zur Bürokraft.
Eine Testung bei einer Psychologin bestätigte die Aussage der Trainerin: Ich bin Legastheniker!
Es war unglaublich. Von diesem Zeitpunkt an, ging es mir besser.
Die Ausbilder nahmen Rücksicht bei schriftlichen Arbeiten und legten den Schwerpunkt in die sprachlichen Bereiche.
In Klassenarbeiten und Prüfungen erhielt ich einen Nachteilsausgleich. Dieser wurde so festgelegt, dass mir mehr Zeit zur Verfügung stand oder ich eine Schreibhilfe bekam.
Meine Motivation stieg enorm und nun konnte ich endlich mein Können beweisen.
Früher war ich eher zurückhaltend und unsicher. Inzwischen trete ich selbstbewusst auf und kann offen auf Menschen zugehen. Ich lache gern und habe viele Freunde.
Im Juni dieses Jahres konnte ich meine Ausbildung mit „großem Erfolg“ abschließen.
Nun befinde ich mich in der erweiterten Ausbildung zum „Kaufmann für Büromanagement“.
Mein berufliches Ziel ist, eine Arbeit zu finden, die mich ausfüllt und deren Herausforderungen ich gewachsen bin.
Nach all meinen Einbrüchen und schlechten Erfahrungen bin ich froh und stolz darauf, es bis hierher geschafft zu haben. Durch die Diagnose „Legasthenie“ habe ich sehr viel besser mit mir und meiner Umwelt umgehen können. Ich habe eine Perspektive und freue mich über die Anerkennung, die ich bekomme.
Bei einem Praktikum in einer Speditionsfirma sah ich, wie gut ich an meinem Arbeitsplatz zurecht kam und erhielt von meinen Vorgesetzten ein positives Feedback.
Monika Heinevetter Wetter, Nordrhein-Westfalen