Der Denkweise eines dyskalkulen Kindes auf der Spur

Meine Erfolgsgeschichte 2015 ist energiegeladen, kreativ, ausgeflippt und hat einen Namen. Sie heißt Marie, ist neun Jahre alt, geht in die 3. Klasse einer Grundschule und kommt seit ein paar Wochen zu mir zum Dyskalkulietraining. Immer bringt sie eine riesige Portion Energie und gute Laune mit.

Nur eins machte Marie Bauchschmerzen. Die Uhr abzulesen, wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie kannte zwar schon die Zeiger und ihre Aufgaben; auch die Zahlen konnte sie ablesen, aber was dies dann bedeutet blieb ihr schleierhaft. Sie konnte sich einfach nicht merken, welche Uhrzeit zu welcher Tageszeit gehört. Erst recht nicht, wenn es über die Mittagsstunde hinaus ging. Das nervte Marie sehr, denn sie musste zusätzliche Übungseinheiten absolvieren, was sie so gar nicht mochte.

Um mir ein Bild zu machen, schaute ich mir alle Übungen und Arbeitsblätter an, die Marie bisher zum Thema Uhrzeit gelöst hatte. Ich versuchte mich in Maries Lage hineinzuversetzen und suchte nach möglichen Stolperstellen. Da fiel mir etwas auf. Alle Übungen waren nach dem gleichen Schema aufgebaut. Es wurde eine Uhrzeit festgelegt und die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit wurde erwartet.

Z.B.: „Schau, wie spät ist es hier? Was machst du um diese Uhrzeit?“

Ich analysierte, welche Gedankengänge nötig sind, um diese Aufgaben zu lösen.

  1. Ich muss die Zeiger der Uhr einer bestimmten Uhrzeit zuordnen.
  2. Ich muss überlegen, was diese Uhrzeit für die Tageszeit bedeutet.
  3. Ich muss dann noch überlegen, was ich zu dieser Tageszeit mache, Ausnahmen eingeschlossen.

Es sind also genaugenommen drei Aufgaben hintereinander zu bewältigen. Das war zu viel für Marie. Irgendwo auf dem Weg konnte sie die Aufmerksamkeit nicht mehr halten und driftete ab.

Ich hatte mit Marie schon über verschiedene Tagesaufgaben gesprochen. Wie etwa:

„Wann musst du denn aufstehen, um pünktlich in der Schule zu sein?“ Oder: „Wann machst du deine Hausaufgaben?“ und „Wie lange darfst du draußen spielen?“. Das hatte sie stets beantworten können. Also kam ich zu dem Schluss, dass alle Übungen genau umgedreht aufgestellt sein müssten.

Z.B.: „Schau, auf diesem Bild frühstückst du gerade. Wann tust du das? Wie spät ist es dann?“ Das ist auf den ersten Blick nur eine kleine Umformulierung, aber es entspricht Maries Denkmuster, denn:

  1. Dass sie morgens aufsteht und nicht nachmittags, ist ihr klar. Sie weiß sogar die Zeit: 7.00 Uhr.
  2. Weil sie die Zeit weiß, kann sie die passende Zeigerstellung auf den Uhren findet. Es ist nämlich die, wo der Stundenzeiger auf der 7 steht.
  3. Jetzt kann sie die Zeit einfach ablesen und die Aufgabe lösen.

Ich besprach die Änderung der Übungsstrategie mit Maries Eltern und ihrer Lehrerin. Alle zeigten sich interessiert und versprachen, das neue System umzusetzen.

Nach drei Wochen bekam ich folgende E-Mail von der Lehrerin:

„Ihr Tipp Marie ausgehend von eigenen Tätigkeiten am Tag die Uhrzeiten verinnerlichen zu lassen, hat weitestgehend funktioniert. Sie kann ihren Aktivitäten eine Uhrzeit zuordnen. Da sie das auch nach einigem Abstand noch konnte, denke ich, dass sie das wirklich sicher weiß. Danke für Ihre Unterstützung.“

So kann´s weitergehen…

Christine Marquardt-Hirsch, B.A.Christine Marquardt-Hirsch, B.A. 
Schöffengrund Niederwetz, Hessen
www.sela-laufdorf.de.tl