Unvergessene Legasthenietrainerin

Im ersten Jahr als Legasthenietrainerin kam zu Beginn des Schuljahres der 9-jährige Claudio als Trainingskind zu mir. Claudio war ein lustiger, offener und intelligenter Bub mit feuerrotem Haar und unzähligen Sommersprossen im Gesicht. Die Chemie zwischen uns stimmte vom ersten Moment an.

Wie der AFS-Test ergab hatte er große Probleme im auditiven Bereich, und da er kurze und lange Vokale nur schwer unterscheiden konnte, war seine Rechtschreibung dementsprechend katastrophal.

Wir machten also Übungen in seinen Problembereichen und daneben ein regelgeleitetes Rechtschreibtraining. Zusätzlich bearbeiteten wir seine ganz speziellen hartnäckigen Fehlerwörter wie z.B. „ Maschine“ und „vielleicht“.

Jeden Dienstag kam Claudio freudestrahlend in meine Praxis gesprungen und einmal verkündete er : „ Der Dienstag ist mein Lieblingstag, da darf ich zu dir kommen!“ Das schönste Kompliment für mich.

Manchmal brachte er mir auch kleine Geschenke mit. Einmal einen lebensgroßen, auf Packpapier gemalten Clown mit feuerroten Haaren. Dieser „Claudio“ zierte lange Zeit die Eingangstüre meiner Praxisräume.

Claudio war mit so großem Eifer bei der Sache, dass sich der Erfolge bald einstellte und er seine Deutschnote stark verbessern konnte. Am Ende unserer Zusammenarbeit schaffte er problemlos den Übergang ins Gymnasium.

Heuer nun traf ich mein ehemaliges Trainingskind wieder. Ich war auf der Mariahilferstraße unterwegs, als mich ein junger Mann mit feuerrotem Haar ansprach. Claudio! Erst auf den zweiten Blick erkannte ich ihn.

Er erzählte mir, dass er noch in diesem Jahr sein Maschinenbaustudium abschließen werde. Etwas verlegen gestand er mir dann, wie oft er noch an mich denke: „ Immer wenn ich das Wort „ vielleicht“ schreibe, höre ich deine Stimme: < Claudio, viel und leicht, zwei l > “

Inge WildingInge Wilding 
Wien